Südtirol Unplugged: Ein Digital Detox Selbstversuch auf 2.040 Metern Höhe | Teil 2

Digital Detox in Südtirol: Hinter der Regensburgerhütte

Abkapseln, abschalten, einfach mal offline gehen. Ich hab es ausprobiert, das Digitale Entgiften. An einem Ort, der dafür geeigneter nicht sein könnte: den Dolomiten in Südtirol. Ein Digital Detox Selbstversuch auf 2.040 Metern Höhe, Teil 2.

Tag 1 | Per Bahn, Auto & Pedes 1000km gen Süden

Der erste Tag meines Digital Detox Selbstversuchs beginnt mit einer Erkenntnis: Wer auf der Suche nach Entschleunigung ist, sollte bei der Anreise beginnen. In meinem Fall vom hohen Norden Deutschlands bis in den Süden und noch weiter durch Österreich nach Norditalien. Ich entscheide mich nicht etwa fürs Flugzeug, sondern für den Nachtzug nach München.

Digital Detox in Südtirol: Mit dem Zug nach Brixen

Digital Detox in Südtirol: St. Ulrich im Grödnertal

Von dort geht es weiter mit dem Eurocity nach Brixen, mit dem Mietwagen nach St. Christina im Grödnertal (italienisch Val Gardena), mit der Gondelbahn Col Raiser auf 2.106 Meter, dann weitere 20 Minuten über Stock und Stein mit allem Gepäck auf dem Rücken den Wanderweg Nr.4 entlang zur Regensburgerhütte. Das macht geschlagene 19 Stunden für 1000 Kilometer. Ein ganz guter Einstieg, wenn es um Entschleunigung geht, wie ich finde.

„Bis Österreich noch 3G, seither offline. Hab keinen neuen Login-Versuch unternommen. Bin schon etwas stolz.“

Vor lauter Verlangsamung lege ich mich erst mal eine Stunde aufs Ohr. Als ich aufwache, ist es stockdunkel, von der umliegenden Bergkulisse sind nur noch die Umrisse zu erkennen.

Nach der Müdigkeit übermannt mich der Hunger. Mein Abendessen besteht aus Speckeiern mit Bratkartoffeln und Salatbeilage, zwei Bieren der regionalen Marke Forst, einem Glas Rotwein und einem Enzianschnaps zum Einstand – er soll gleich doppelt helfen, wie ich lerne, zur Verdauung und für festen Schlaf.

Digital Detox in Südtirol: Die Regensburgerhütte in Gröden
Der helle Fleck hinten in der Mitte ist übrigens die Regensburgerhütte

Digital Detox in Südtirol: Die Regensburgerhütte von außen

Die Regensburgerhütte wirkt schon von weitem rustikal. Sie kenne ich schon aus früheren Jahren und Wanderungen, die unweigerlich an ihr und den majestätischen Geislerspitzen vorbei führten. Die Schutzhütte wurde 1888 durch die Sektion Regensburg des Deutschen Alpenvereins erbaut und wird seit nunmehr über 70 Jahren von der Familie Perathoner liebevoll bewirtschaftet.

Manuela und Bruno heißen mich herzlich willkommen, wobei das Herzliche hier erst nach und nach im täglichen Umgangston herauszuhören ist. Was anfangs vielleicht etwas schüchtern oder kühl wirkt, mag auch an den hiesigen Außentemperaturen liegen. Aber das wird im Laufe der nächsten Tage schnell ändern.

Übrigens haben die Ladiner hier im Grödnertal mit „Ladinisch“ sogar eine eigene Sprache, die unglaublich weich wirkt – auch wenn ich als Deutscher kaum ein Wort verstehe, klingt es doch irgendwie gleich warm und vertraut.

Digital Detox in Südtirol: Wäsche vor der Regensburgerhütte

Die wunderbar schlichte Unterkunft der Regensburgerhütte lädt Wanderer zur kurzeitigen Rast und Brotzeit oder mit einem der 20 Betten und 70 Personen-Matratzenlager zur Nachtruhe. Dass die Stube vom ersten Betreten an behaglich wirkt, mag an der Holzvertäfelung liegen.
An der Wand hängen Poster des Lokalhelden, Bergsteiger und Naturfilmers Luis Trenker. An den massiven Holztischen spielen Paare abends Kniffel oder Rommé, an anderen begießen alte Wanderkumpel unter schallendem Gelächter die wohl ebenso gute alte Zeit mit einem Forst.

Digital Detox in Südtirol: Die Regensburgerhütte von innen

Digital Detox in Südtirol beginnt mit der Wahl eines einfachen Zimmers

Die Zimmer sind klein und spartanisch eingerichtet und doch fehlt einem kaum etwas: mit einem schmalen Bett, einer rauen Kamelhaardecke und, halleluja, einer zusätzlichen Daunendecke, ist eigentlich alles da, was der Wandersmann braucht. Angesichts der kalten Temperaturen hier oben zu dieser Jahreszeit macht mich der Anblick der dicken Decke besonders glücklich.

So endet mein Tag um 21.30 Uhr. Mein Smartphone fasse ich heute nicht mehr an. Und in der ungewohnten Stille der nächtlichen Bergwelt wiegt mich mein eigener Atem schnell in den Schlaf.

Tag 2 | Abschalten und Ankommen

Der Morgen beginnt um 7:10 Uhr. Nicht etwa mit einem Blick aufs Handy, sondern aus dem Fenster, über das ich erst mal mit dem Ärmel wischen muss, um überhaupt hinaus sehen zu können, so beschlagen ist es von meinem eigenen Atem.

Digital Detox in Südtirol: Beschlagene Fensterscheibe in Regensburgerhütte

Digital Detox in Südtirol: Der Langkofel

Und dann steht er da, der Langkofel – auf ladinisch „Saslonch“ genannt, auf italienisch „Sassolungo“ und auf gut Deutsch einer der prächtigsten Berge des UNESCO Weltnaturerbens der Dolomiten. Ihn und seine untergebenen Bergketten kenne ich schon von Zeiten, als ich noch ein kleiner Junge war. Als ich klein und frech war und meinen Eltern immer vorausgerannt bin, um ihnen von der Ferne zuzuwinken.
Im Gegensatz zu mir scheint er sich nicht verändert zu haben. So steht er da, wie ein alter Freund, der sich nicht von der Stelle bewegt, bis ich wiederkomme. Von allen Bergmassiven scheint das seine im Morgenrot am allerprächtigsten zu glühen. So ein Angeber!

„Es ist Herbst, der goldene Monat. Die Vögel sind schon ganz närrisch.“

Nach dem Frühstück (Semmeln, Aufschnitt, Eier und literweise Filterkaffee) pack ich meine sieben Sachen und mache mich auf den Weg. Die Route hab ich mir schon am Vorabend auf der Wanderkarte zurechtgelegt, die in der Stube auslag. Mein Smartphone hab ich nicht wie sonst in der Hosentasche, ich habe es im Rucksack. Für den Notfall.

Digital Detox in Südtirol: Sommerkarte Gröden
Copyright: val-gardena.com

Schon nach der Hälfte der Strecke bin ich überrascht von meiner eigenen Kondition – so munter hab ich meine Lunge vier Wochen nach der OP nicht unbedingt erwartet. Natürlich mache ich ab und an kurze Verschnaufpausen, aber alles in allem schaffe ich es in gut zwei Stunden hinauf bis zu Troier Hütte und weiter zur Bergstation der Seceda.

Digital Detox in Südtirol: Sonnenliegen bei der Troier Hütte

Digital Detox in Südtirol: Blumen an der Troier Hütte

Bei jeder Rast gönne ich mir eine Stärkung, und wenn es nur ein Radler mit Aussicht ist. Klar, der Herbst kommt auch hier oben mit großen Schritten. Und doch, wenn die Sonne da ist, dann zeigt sie was sie kann. Dann muss ich aufpassen, in meiner Sonnenliege nicht weg zu schlummern. Schließlich muss ich ja wieder zurück, bevor es dunkel wird.

Die Erkenntnis des Tages: Allein Wandern ist gar nicht so schlimm. Keiner da, der einen vollplappert, keiner auf den man warten muss, keine Schritte vor oder hinter einem. Irgendwann fange ich an, mit mir selbst zu reden. Nicht laut, nur in Gedanken. Ja: man denkt mehr nach als sonst, wenn man alleine ist.
Zum anderen ist da diese unglaubliche Ruhe, die sich einstellt, wenn ich stehen bleibe, die eigenen Schritte verstummen und ich keinen Laut mehr vernehme außer dem Ziepen des Waldes.

„Wer per pedes ist, ist auch per Du.“

Doch auch wenn die Saison vorbei ist und Ruhe eingekehrt ist im Outdoor- und Erholungsgebiet Gröden, bin ich nicht ganz allein. Auch ein paar andere Wandersleut sind unterwegs. Dazu gilt hier auf dem Berg, wer per pedes ist, ist auch per Du. Jeder grüßt jeden wie einen alten Bekannten, den man schon lange nicht gesehen hat. Das hat etwas ungeheuer Herzliches. Die Menschen hier scheinen näher beieinander als anderswo.

„Man kann sich schnell einsam fühlen hier oben. Und dann trifft man eine Kuh und alles ist wieder in Ordnung.“

Digital Detox in Südtirol: Clemens macht einen Kuh-Selfie

Digital Detox in Südtirol: Ein leerer Sessellift

Allmählich verliere ich das Gefühl für Zeit. Obwohl ich durch die stetige Fortbewegung regelrecht spüren kann, wie sie vergeht, ist die Uhrzeit eigentlich egal. Termine hab ich keine und es gibt auch keine Push Notification, die mich an irgendetwas Unnötiges erinnert. Ich verfalle in eine angenehme Gediegenheit, was auch an der einlullenden Höhenluft liegen könnte. Nachrichten sind mir völlig egal. Wenn der Weltkrieg ausbricht, werde ich es schon rechtzeitig mitbekommen.

Wieder zurück in der guten Stube befreie ich meine geschundenen Füße aus den klobigen Wanderstiefeln und stelle mich unter die einzige Dusche des Hauses. Eine Ganzkörperdusche hat selten so gut getan wie heute.

Digital Detox in Südtirol: Die Regensburgerhütte von innen

Zum Abendessen gönne ich mir das Südtiroler Schutzhüttenbrettl: Eine Auswahl an regionalem Käse und Wurstwaren, frischer Butter und typischem Südtiroler Bauernspeck.
Dazu passt am besten ein „Vinschgerl“, handtellergroße Fladenbrötchen aus Roggen-Weizen-Sauerteig und Hefe oder Schüttelbrot mit einen halben Liter Rotwein, der meinen Muskelkater und ersten Sonnenbrand im Gesicht schnell vergessen macht und eine angenehme Wärme in mir aufkommen lässt, während draußen der kalte Herbstwind die Gebirgsflanken herunter prescht.

Zu Digital Detox in Südtirol gehört eine Brotzeit

Wer hier übernachtet, wandert von Hütte zu Hütte, meist Paare oder Kumpels, viele um die 50 Jahre alt. Wie am Vorabend bin ich der Einzige, der alleine am Tisch sitzt und doch fühle ich mich keineswegs einsam, sondern seltsam in mich gekehrt. Keine Mails abzurufen, fühlt sich bisher gar nicht so schlimm an, wie gedacht. Ich bin abseits von der Welt, als hätte jemand den Stecker gezogen. Irgendwie steh’ ich da drüber, was auch daran liegen könnte, dass ich auf über 2.000 Metern bin.
Das Pärchen von gestern spielt wieder Kniffel und ich schaue aus der Ferne etwas zu. Das Geräusch der aufeinander klackernden Würfel hat etwas Heimeliges an sich an.

Wie es in Südtirol weitergeht? Mit dröhnender Volksmusik, mehr herzhaftem Essen und einer ungewollten Nachtwanderung – im 3. Teil meines Digital Detox Selbstversuchs:

Südtirol Unplugged – Ein Digital Detox Selbstversuch auf 2.040 Metern Höhe | Teil 3

Hinweis: Alle hier verwendeten Fotos wurden mit analogen Kameras aufgenommen, entweder einer Diana F+ Lomography-Kamera oder Paradies Einwegkameras ISO 400 von dm-drogerie markt.

Mein Digital Detox Selbstversuch in Südtirol entstand im Zuge meiner Nominierung für den Südtiroler Medienpreis 2014. Mein Dank geht an das Südtirol Marketing für die Einladung und an die Familie Perathoner von der Regensburgerhütte für die warme Bleibe. Alle Meinungen, Übertreibungen und schlechten Witze sind meine eigenen.

  1. Eva says:

    Schöner Artikel, schöne Erfahrung, Clemens. Ich mag Südtirol ja so sehr. Ein “Kraftplatz” der einem immer zum Auftanken verhilft. Deine analogen Bilder haben übrigens viel Flair. Sollte man eigentlich öfters machen 😉

    Grüße
    Eva

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    • Clemens says:

      Dank dir Eva, freut mich, dass dir mein Bericht so gut gefällt. Ich überleg mir ernsthaft ein jährliches Digital-Detox Wiedersehen mit Südtirol in meinen Kalender zu schreiben. Eine ganz ganz tolle Erfahrung!

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  2. Nicole says:

    Super Selbstversuch Clemens! Kenne ich nur zu gut aus meinem Südtiroler Alpenurlaub aber auch von der Noedseeinsel Spiekeroog. Da hab ich es genauso gemacht. Die Abgeschnittenheit auf einer autofreien Insel war die totale Entspannung und Befreiung!

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