Südtirol Unplugged: Ein Digital Detox Selbstversuch auf 2.040 Metern Höhe | Teil 3

Digital Detox in Südtirol: Wegweiser an einem Wanderweg

Abkapseln, abschalten, einfach mal offline gehen. Ich hab es ausprobiert, das Digitale Entgiften. An einem Ort, der dafür geeigneter nicht sein könnte: den Dolomiten in Südtirol. Ein Digital Detox Selbstversuch auf 2.040 Metern Höhe, Teil 3.

Tag 3 | Was nicht passt, passt sich an

„… Unglaubliche Stille hier oben. Man redet automatisch ruhiger, irgendwie gewählter. Fast hat man den Eindruck, die eigenen Gedanken würden auch in geregelteren Bahnen verlaufen.“

Vor einer so imposanten Bergkulisse aufzuwachen ist ungemein beruhigend. Diese majestätischen Giganten wirken, als sei man umringt von großen, starken Freunden, die schon auf einen aufpassen, wenn’s brenzlig wird.

Auch läuft hier schon früh morgens alles irgendwie ordentlicher und geregelter. Ich schüttle meine Bettdecke auf, bevor ich das Zimmer verlasse. Ich putze mir ausgiebiger als sonst die Zähne, zumindest kommt es mir so vor. Ich achte sogar ernsthaft auf den Wasserverbrauch. Nur rasiert hab ich mich noch nicht. Das spielt hier oben aber auch nicht wirklich eine Rolle.

Mein Smartphone nehme ich heute erst gar nicht mit auf die Wanderung. Stattdessen eine Handvoll Einwegkameras aus Plastik, die laut Klick machen, wenn man abdrückt. Darauf folgt ein ratterndes Drehen des Rades. Die Leute müssen mich für verrückt halten …

Digital Detox in Südtirol: Ein Wanderweg in Gröden

Digital Detox in Südtirol: Naturpark Puez-Geisler
Digital Detox im Naturpark Puez-Geisler

Meine heutige Wanderroute verlangt wieder alles von mir ab. Dabei kommen mir die Südtiroler Berge heute noch schroffer vor, was an den zerzausten Wolkenfetzen liegen könnte, die die rauen Gipfel und Flanken morgens wie in Watte packen. Manchmal fühle ich mich hier selbst wie in alten Luis Trenker Filmen. Auch ändert sich der Geruch beim Wandern alle paar Meter. Immer Grün, aber immer anders Grün. Man glaubt gar nicht, wie vielfältig der Geruch der Wälder sein kann.

„Heute 8 Wanderer, 5 Rehe und 1 Eichhörnchen gesehen.“

Am Mittag komme ich an der Fermeda Hütte vorbei, wo der Wirt mir bei hausgemachtem Kaiserscharrn und einem spritzigen Radler vom heutigen Almabtrieb vorschwärmt, den ich doch auf keinen Fall verpassen sollte. Noch könnte ich es schaffen, denk ich mir und mache mich nach dem letzten Happen sofort auf den Weg ins Tal, wo die Tiere um 15 Uhr nach und nach ankommen sollen.

Digital Detox in Südtirol: Almabtrieb in Südtirol

Was unten auf mich wartet, übertrifft dann aber wirklich meine kühnsten Erwartungen: Herdenweise trudeln Kühe, Pferde, Schafe und Ziegen im Dorf ein, die Vorhut jeweils mit aufwendigen Blumenkränzen geschmückt. Und dann gibt es da die sogenannten Schnalzer, eine Tradition die ausschließlich den Männern vorbehalten ist. Breitbeinig auf der Straße stehend, rufen diese mit ihren langen Lederpeitschen laute Knallgeräusche hervor, indem sie diese zügellos durch die Luft schweifen lassen. Dazu ertönt ausgesprochen penetrante Volksmusik aus vollem Rohr begleitet vom frenetischen Klatschen eines im Schnitt wohl 60jährigen Publikums, das ausgelassen im Takt mitschwingt. Was eine Gaudi!

„So süße Kälbchen! Nie wieder Wiener Schnitzel.“

Trotzdem bin ich froh, als mich später auf der Seceda, dem Hausberg von St. Christina, wieder die angenehme Stille einhüllt, an die ich mich die letzten Tage so gewöhnt habe. Oben angekommen greife ich doch mal wieder zu meinem Handy, vielleicht hat ja jemand angerufen? Aber das ist nicht der Fall. Und das iPhone in die Hand zu nehmen wirkt eh etwas befremdlich, was ich mir aber auch einreden könnte.

Digital Detox in Südtirol: Die Regensburgerhütte

Vor dem Abendessen, bevor die Sonne untergeht, setze ich mich noch einmal auf die Bank vor der Hütte und blicke auf die umliegende Bergkulisse Südtirols. In so einer Umgebung merkt man ziemlich schnell, wie unbedeutend man doch eigentlich ist. Zuhause in der Großstadt fühle ich mich als Teil eines funktionierenden Systems. Hier in den Domoliten bin ich nur ein kleiner Wanderer.

Drinnen in der warmen Stube weiß man allmählich, welches Getränk ich zu welcher Speise bevorzuge und wie ich meinen Kaffee am liebsten mag. In dieser kargen und zu dieser Jahreszeit auch kalten Umgebung nähert man sich unweigerlich einender an.

Seit langem lese ich abends im Bett mal wieder ein Buch, bevor ich heute schon um 21:30 Uhr das Licht in meinem Kämmerlein ausmache.

Tag 4 | Lost in the woods

Den nächsten Tag beginnt ich meiner täglichen Routine: Ich nehme mein Frühstück zu mir, dusche, lüfte, schüttle meine Decke auf und mach mich auf den Weg. Heute wandere ich ziellos umher, lass mich von den hölzernen Wegweisern über die Wanderwege treiben, ganz gemütlich und in meiner eigenen Geschwindigkeit.

Digital Detox in Südtirol: Eine Bank an einem Wanderweg

Es ist später Nachmittag, ich sitze auf einer Holzbank an einer Wegkreuzung, als ich aus meinen Gedanken gerissen werde. Plötzlich stehen da zwei junge Mädels vor mir, setzen sich neben mich und bieten mir ein Weißbier an. Etwas überrascht nehme ich die Einladung an.

„… und du wanderst so ganz allein …?“

Also sitzen wir da die nächste halbe Stunde und plaudern über Gröden und die Region, ich aus Erinnerungen an die Wanderungen meiner Kindheit, sie aus dem Nähkästchen – denn sie stammen aus der Region, wie ich bald erfahre. Auch erzählen sie, dass der Winter in Südtirol dieses Jahr ungewöhnlich spät kommt und erst mit ihm auch die jüngere Generation.

Nämlich dann, wenn sich die Grödener Berge in Olympiaabfahrten und die Hänge in Schwarze Pisten verwandeln. So unverhofft die Begegnung auch ist, so plötzlich ist sie auch wieder beendet und die beiden machen sich wieder auf den Weg zurück ins Tal.

Digital Detox in Südtirol: Das Col Raiser Almhotel

Zu Digital Detox in Südtirol gehört herzhaftes Essen

Doch jetzt will ich mehr über meine Nachbarschaft wissen und schaue beim nahegelegenen Col Raiser Almhotel vorbei. Wirtin Rita lebt seit 27 Jahren hier und zeigt mir bereitwillig ihre Küche, lässt mich beim Zubereiten der Speisen zuschauen und sogar ein wenig mitmachen.

Ich erfahre, dass viele Lebensmittel hier im Einklang mit der Natur wachsen. Hausmannskost heißt das Stichwort: ob Milch oder Käse, Kaiserschmarrn oder Polenta mit Pilzen, hier ist alles selbstgemacht. Sogar die Eier kommen von glücklichen Hühnern vom Schlern und das schmeckt man.

Digital Detox in Südtirol: Die Speisekarte einer Almwirtschaft

Ich bleibe zum Abendessen, auf eine Flasche Wein und ein gutes Gespräch. Und ehe ich mich versehe, ist es nach 21 Uhr und stockdunkel. Erst dann fällt mir ein, dass ich noch zurück zur Regensburger Hütte muss. Hausherr Hans leiht mir eine handliche Halogentaschenlampe, mit der ich mich in bester Blair-Witch-Project-Manier geschlagene zwanzig Minuten durch die Finsternis kämpfe. Irgendwo am Horizont funkelt das einsame Licht einer Berghütte.

Um 21:45 Uhr komme ich an und erfahre, was in der Zwischenzeit passiert ist. Familie Perathoner hat sich nämlich nicht nur Sorgen gemacht, sie ist mich sogar suchen gegangen in der Dunkelheit. Wenigstens hab ich keinen Hubschraubereinsatz verschuldet, denk ich mir noch, das wäre teuer geworden. Peinlich ist mir das trotzdem.
„Wir kenn’ unsere Gäste und merken schon, wenn einer net da is,“ lässt Wirtin Manuela mich wissen. Es dauert eine Weile und ein Glas Rotwein bis ich das Ganze verdaut habe.
Es ist 22.30 Uhr. So spät bin ich hier noch nie ins Bett gegangen. Das Handy ist und bleibt aus. Für Facebook-Statusnachrichten steht mir gerade eh nicht der Sinn.

Was der fünfte und letzte Tag meines Digital Selbstversuchs bringt? Eine Erkenntnis, ein überraschendes Geschenk und ein Anblick fürs Fotoalbum: 

Südtirol Unplugged – Ein Digital Detox Selbstversuch auf 2.040 Metern Höhe | Teil 4

Hinweis: Alle hier verwendeten Fotos wurden mit analogen Kameras aufgenommen, entweder einer Diana F+ Lomography-Kamera oder Paradies Einwegkameras ISO 400 von dm-drogerie markt.

Mein Digital Detox Selbstversuch in Südtirol entstand im Zuge meiner Nominierung für den Südtiroler Medienpreis 2014. Mein Dank geht an das Südtirol Marketing für die Einladung, an die Familie Perathoner von der Regensburgerhütte für die warme Bleibe und an die Familie Schenk vom Almhotel Col Raiser für das tolle Essen und den Einblick in die Küche. Alle Meinungen, Übertreibungen und schlechten Witze sind meine eigenen.

  1. Stefka says:

    Hey, was für stimmungsvolle Bilder passend zum Text! Sehr schön anzuschauen.

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