Slums in Mumbai – Ein Königreich für einen Kugelschreiber
Die Slums in Mumbai stehen für Armut und Elend. Dabei stecken ihre Bewohner voller unbändiger Lebensfreude und Heiterkeit – und in den wuseligen Armenvierteln die wahren Geschichten des indischen Subkontinents. Dort, wo Slumdogs zu Millionären werden und der Traum vom besseren Leben nie ausgeträumt wird, finden die Menschen das Glück in den kleinen Dingen. Zum Beispiel in einem Kugelschreiber. Eine Anekdotique aus den Tiefen des alten Bombays.
„Pleeease!“ Wieder das gleiche, eintönige Wort, der gleiche zuckersüße Blick und die selben riesigen Augen, tiefdunkel und verwunschen wie der ganze Subkontinent. Dazu den Kopf oft gern leicht zur Seite geneigt, traurig drein schauend und die offene Hand entgegengestreckt.
Bettler verschiedensten Alters sieht man in Indiens Städten zuhauf, nicht nur in den Slums in Mumbai: die Jungen, die Alten, die Gebrechlichen und alle anderen, die in der Gosse leben, von denen aber nicht wenige den Traum vom besseren Leben tapfer weiter träumen. Man kann ja klein anfangen: zum Beispiel mit dem Verkauf von Postkarten, mit dem Putzen von Schuhen oder dem Rasieren von Passanten wie mir …
Der Übergang von den Einkaufsstraßen zu den Slums in Mumbai ist oft fließend
Mumbai, März, 36 Grad. Eine erdrückende Schwüle liegt über der Metropole im Bundesstaates Maharashtra, der Smog hängt so tief, dass man oft keine 600 Meter weit sehen kann. Wie ein Ameisenhaufen bewegt sich der Pulk aus Menschen, Schubkarren und und klapprigen Gefährten durch die Straßen.
Auf der Kreuzung steht eine Kuh. Macht aber nichts, denn Kühe sind in Indien heilig. Sie stehen auf Straßen, Kreuzungen und Autobahnen mit dem Wissen, dass ihnen keiner was zu Leide tun wird.
Dass dafür eine 5-spurige Straße brach liegt und nichts mehr vor oder zurück geht, spielt überhaupt keine Rolle. Die Kuh kann tun und lassen was sie will und wo sie will. Heute eben mal auf einer der meist befahren Straßenkreuzungen Mumbais.
Mahalaxmi ist die Wäschekammer der Stadt und Tor zu den nördlichen Slums in Mumbai
Mit einem Pendlerzug fahre ich in den Norden der Stadt, nach Mahalaxmi, ein Stadtviertel was als Wäschekammer Mumbais bekannt ist. Auf einer riesigen Fläche lassen alle Hotels weit und breit ihre Wäsche waschen – in riesigen Beton-Waschzubern und ausschließlich von Männern wohlgemerkt, denn Frauen gelten in Indien als unrein.
Auf der Fahrt von der Victoria Terminus nach Norden hänge ich meinen Kopf weit aus der offenen Tür. Der wenigstens lauwarme Fahrtwind weht dabei angenehm kühlend um meine Nase und ich komme mir fast ein bisschen vor wie im Film. Es ist laut, es ist dreckig, alle anderen Passagiere gucken mich an. Vielleicht sollte ich mich mal wieder rasieren?
Und genau das mache ich auch. Kaum steige ich aus der Bahn aus und gehe ein paar Schritte um die Ecke, steht ein Barbier vor seinem Geschäft. Rasieren lassen mitten auf der Straße in Mumbai? Wieso eigentlich nicht, frag‘ ich mich.
Slums in Mumbai: Bloß nicht abrutschen, denk ich mir … aber der Mann versteht sein Handwerk
Also rauf auf den Hocker, Lätzchen um, ein paar Anweisungen geben und los gehts. Schon nach ein paar Minuten bin ich der Menschenmagnet überhaupt. Ein Weißer lässt sich hier in unserer Gegend rasieren? Was macht der überhaupt so weit im Norden Mumbais? Ladenbesitzer schauen von der anderen Straßenseite zu, Fahrradfahrer bleiben kurz stehen um die Szene zu beäugen und Schulkinder gesellen sich dazu. Bei jedem Handgriff des Barbiers dringt ein heiteres Lachen zu uns herüber.
Kaum bin ich fertig, bezahle und stehe auf, da fängt es wieder an. Zuckersüßer Blick, tiefe Augen, hängende Mundwinkel: „Pleeease“! Eines der Schulmädchen hat all ihren Mut zusammengenommen und ist auf mich zugegangen.
Geld? Sollte ich ihr jetzt Geld geben, steht in wenigen Minuten wohl eine ganze Heerschar an Kindern um mich und möchte auch ihren Anteil – ein Learning, das mir andere Reisen durch Asien schmerzlich gelehrt haben.
Zur Schule zu gehen ist in den Slums in Mumbai ein Privileg
„Pleeease…“, fleht sie wieder, nicht bettelnd, sondern mit gerade zu netter, eleganter Geste, und untermauert mit ihren wehmütigen Augen ihre Forderung. Ein Blick, als würde die ganze Last des indischen Subkontinents auf ihren Schultern lasten. Oder zumindest in Ihren Augen. „Pleeease“ ertönt es wieder und diesmal führt sie fort: „… pen?“
Erst jetzt beginne ich zu begreifen, was die Kleine eigentlich will: einen Stift, nichts weiter. Vielleicht einen Kugelschreiber. Und ja, ich hab einen dabei, schießt es mir durch den Kopf. Kein besonders toller, kein Parker, kein Lamy, nur ein einfacher Plastikkugelschreiber, wie man ihn auf Hotelzimmern findet. Ich reiche ihn dem Mädchen und mit jedem Zentimeter, den ich mich dafür nach unten bücken muss, wird ihr Lächeln breiter und ihre eh schon großen Augen größer. Und mir kommt es vor, als strahle in ihnen der ganze Kontinent vor Freude.
Geben ist schöner als Nehmen, so sagt man ja. In Indien gilt das sogar für einen einfachen Kugelschreiber aus Plastik. In Zukunft packe ich in jedem Hotel einen ein. Versprochen!
Mindestens genauso unvergesslich wie die Slums in Mumbai war übrigens mein Erlebnis vom Indischen Holi Fest in Hampi im Bundesstaat Karnataka. Meine Anekdotique dazu findest du hier: Happy Holi – Das Fest der Farben gibt es jetzt sogar in Indien!
Welcher der schönsten Strand in Goa ist? Verrat ich dir hier: Palolem Beach in Goa – ein Traum aus alten Hippiezeiten